LOTs tochter
Gedichte
120 Seiten
isbn: 3-9011-9300-6
Rezension
hetzer ketzer rasende
Warm wie eine Schlagader: Haas-LyrikVon einem literarischen Debüt kann im Fall von Waltraud Haas, geboren 1951, nicht die Rede sein. Ihrem ersten Buch geht ihr Ruf als Lyrikerin und kraftvolle Text-Interpretin voraus.
Die zumeist kurzen Texte von „LOTs tochter“ beziehen ihre Intensität aus emotionalen Spannungen: einer als Gewaltsamkeit zutage tretenden hypersensiblen Zärtlichkeit, einem vulkanischen Element am Ursprung der Dichtung und der eigenen Identität: „ich / hantle mich / in den mutterleib zurück / und finde / mich wieder auf der kante / des kraters / der spuckt und speit / ich“
Das eruptive Element schlägt sich im Text als Kürzel nieder: konzentriert, geklärt und dadurch noch intensiviert – feinstens geschliffenes Brennglas.
Die Gedichte setzen dem Verständnis wenig Schwierigkeiten entgegen, trotz ihrer Sprödigkeit, ihrer Distanz zum bloßen Abschildern von Erfahrungen. Ihre zentrale Leistung ist die Umwandlung von Empfindungen in eigenwillige, klare Bilder: Lyrik als Verzauberung und Erkenntnis.
Diese Umwandlung geschieht sehr oft in einer dialektischen Spannung, wie zwischen Intensität und Distanz: „zustand // meine figuren sind / hetzer ketzer flitzer rasende / ich hocke im letzten winkel / die brille in der hand / langweil mich tödlich“
Abgesehen von der Grundspannung zwischen roher Erfahrung und Poesie, ist es vor allem der Gegensatz der geheimen Zwillinge Zärtlichkeit und Gewalt, aus dem die Dichtung von Waltraud Haas ihr Leben bezieht: „sie ein stachel / er ein luftballon / der zerfetzt ihren hals schmückt // ein abelsmal auf kains haut“An emotionaler Kraft steht „LOTs tochter“ dem gegen den Strich zitierten Alten Testament nicht nach. Statt patriarchalischer „Law & Order / Sex & Crime“ – Themen bietet dieses Buch eine vollends persönliche und dadurch überzeugende Erhellung von Aggression und Erotik, fernab aller Beziehungskisten-Klischees.
Das Wort „Frauenlyrik“ würde eine Umdeutung verdienen angesichts dieser Dichtung, die kompromißlos ist wie ein Schnitt mit dem Skalpell, warm wie eine Schlagader und traumhaft wie die Färbung eines blauen Auges.Christian Loidl
(In: Literarikum VIII,
18. April 1992.)