Weiße Wut
Lyrik und Prosa
Isbn 3-85458-509-8
Rezension
Der Schliff der Klinge
Die „weiße Wut“ der Waltraud HaasDas Dilemma, in das eine „Literaturkritik“ dieser Texte gerät, ist in einem Gedicht ziemlich genau formuliert: „ich will keinen trost / noch ratschläge / die ihr im vorbeilaufen / aus euren brustausschnitten schüttelt / doch auf den schliff meiner klinge / dürft ihr mich aufmerksam machen / so ihr ihn seht“.
Zuwendung ist keine literarische Kategorie, auch wenn die Texte dauernd von ihr handeln, von ihrer Abwesenheit zumeist, auch wenn das/die „Ich“ dieser Texte dauernd nach ihr heischen: häufig mit dem Mittel beschriebener oder angedrohter Selbstzerstörung. Die „Klinge“ der Texte ist also nicht bloß das „Geschliffene“ der Sprache, das auch, es ist das gut geschärfte Instrument einer Selbstverstümmelung. Daß sie als „verbale“ Klinge Wirklichkeit bedeutet, aber nicht ist, mag bestürzen und trösten zugleich. Im Bedeutungsaspekt, im Zugriff auf die Wirklichkeit, sind die Texte schärfer als die verschwommene Alltagserfahrung, die wir von den Formen der Beschädigung und Selbstbeschädigung haben (auch wenn wir, z. B. als Alkoholiker, von ihr unmittelbar betroffen sind): deshalb ist die „Klinge“ zu loben, mit der hier ins eigene Fleisch geschnitten wird. Zu trösten und zu ratschlagen ist da nicht; wenn Literatur Therapie sein sollte, dann ist jedenfalls der Leser und Kritiker nicht der Therapeut, der es besser wissen oder machen (leben) könnte. Auf Brustausschnitte und Herzensergießungen kann also verzichtet werden.
Andererseits wäre es zynisch, nur den Schliff der Klinge zu loben, die den Texten ihre unvergleichliche Schärfe und Prägnanz gibt, und das Elend, die Einsamkeit, die Beschädigungen als thematisch beliebig hinzustellen. Die lyrischen Texte sind im wahrsten Sinne unbeschreiblich, nur zitierbar, jede Auseinanderlegung der Lektüreerfahrung beraubt sie der jähen, unerwarteten Wendung, die sie nehmen, der Plötzlichkeit einer Paradoxie, mit der sie sich von der Alltagserfahrung wegdrehen, sie gleichzeitig kurz und intensiv erhellend; ihr „Weg“ ist eine Leuchtspur: „weg / ich durch mich / hindurch / auf katzensohlen“. Das Potential solcher Texte aber erschließt sich in der Kontemplation, man kann zu ihnen zurückkehren, lange bleiben, und sie sind nicht verbraucht. Auch die Prosatexte zeigen, bei erstaunlicher technischer Variation auf dem schmalen Raum, diese Kürze und Lakonik als auffälligstes Merkmal: nichts ist zu erklären, nichts ist zu verstehen, nichts ist zu verzeihen: es ist, wie es ist. Alle handeln von Einkerkerungen, den realen durch Psychiatrie und Polizei, den „bloß““ bewußtseinsmäßigen in den Monologen oder in der titelgebenden Geschichte einer Kindheitserfahrung von Suff und Gewalt.
Die Texte werden von einer Graphikserie der Autorin begleitet: über einen aufgebäumten, schon nach hinten fallenden, zarten weiblichen Torso wölbt sich, in zunehmender Schwärzung, ein Schatten: ein Mann, ein Vater, ein Alp? Im letzten Bild ist der Frauentorso fast schon unsichtbar.
Vielleicht ist es unangemessen, hier von einem „schönen Buch“ zu sprechen. Ich will es dennoch tun und das graphische Design ausdrücklich loben. Nicht daß den Texten durch die Präsentation ein Teil jener Würde zurückgegeben werden könnte, nach der die dargestellten Figuren und Situationen vergeblich schreien. Aber Literatur, die etwas zu sagen hat, muß nicht deswegen in Sack und Asche gehen, weil sie von Demütigung spricht. Verlegerische Sorgfalt ist der Respekt, der ihr zukommt, und hier ist er auf erfreuliche Weise gewahrt.Hubert Lengauer